Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher (Vorstand des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung/n (FAW/n); zugleich Professor für Informatik, Universität Ulm; Präsident des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA), Berlin; Vizepräsident des Ökosozialen Forum Europa, Wien sowie Mitglied des Club of Rome)

Prof. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher (Vorstand des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung/n (FAW/n); zugleich Professor für Informatik, Universität Ulm; Präsident des Bundesverbandes für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft (BWA), Berlin; Vizepräsident des Ökosozialen Forum Europa, Wien sowie Mitglied des Club of Rome)

Die bewusste Gestaltung einer nachhaltigen Entwicklung insbesondere der Wirtschaft ist spätestens seit der Weltkonferenz von Rio 1992 die vordringliche Aufgabe der weltweiten Verantwortungsträger. Das bedeutet insbesondere für die Wirtschaft, die Gestaltung eines nachhaltigkeitskonformen Wachstums, das begleitet werden soll durch sozialen Ausgleich und den Erhalt der ökologischen Systeme.

Diese Zukunftsperspektive sieht Professor Franz-Josef Radermacher durch zwei andere mögliche Zukunftsszenarien bedroht: dem Kollaps der ökologischen Systeme (und in der Folge der Gesellschaftssysteme) oder einer Ressourcendiktatur (sog. Brasilianisierung).

Die Grundzüge des von ihm, dem Ökosozialen Forum Europa, der Global Marshall Plan Initiative und dem Bundesverband für Wirtschaftsförderung und Außenwirtschaft erarbeiteten Konzepts einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft und dessen (Aus-) Wirkungen für den Mittelstand (Teil 1), die Finanzkrise und damit zusammenhängende Themenstellungen (Teil 2), sowie die Dynamiken in der Globalisierung (Teil 3)erläutert er im Gespräch mit dem businessler.

Teil 1 – Ökosoziale Marktwirtschaft und deren (Aus-) Wirkungen für den Mittelstand:

1. businessler: Herr Prof. Radermacher, Sie setzten sich seit Jahren für ein Konzept einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft ein. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Umsetzung des sogenannten Global Marshall Plans. Was sind die Ziele der Global Marshallplan Initiative und welchen Stellenwert in der Öffentlichen Diskussion würden Sie sich für dieses Projekt wünschen.

Prof. Radermacher: Die Ziele des Global Marshall Plans sind:

  • Durchsetzung der weltweit vereinbarten Millenniumsziele der Vereinten Nationen bis zum Jahr 2015
  • Aufbringung der zur Erreichung der Millenniumsziele nötigen zusätzlich 100 Mrd. US$ jährlich zur Förderung weltweiter Entwicklung
  • Faire und wettbewerbsneutrale Aufbringung der benötigten Mittel auch über Belastung globaler Transaktionen
  • Etablierung eines besseren Ordnungsrahmens der Weltökonomie z.B. über eine Verknüpfung etablierter Regelwerke und verabredeter Standards für Wirtschaft, Umwelt und Soziales (WTO, IWF, ILO-Kernstandards und UNEP)
  • Neuartige Formen basisorientierter Mittelverwendung bei gleichzeitiger Bekämpfung von Korruption

Diese Ziele müssen einer breiteren Öffentlichkeit bekannt und bewusstgemacht werden. Es ist wichtig, dass insbesondere die Entscheider in Politik und Wirtschaft erkennen und verstehen, warum die Umsetzung dieser Ziele auch für sie selbst von zentraler Bedeutung ist.

2. businessler:  Nicht nur Staat und Politik, sondern auch Unternehmen sollen sich Ihrer Meinung nach stärker einer globalen (Ordnung-)Perspektive stellen und mitwirken, um die bedrohlichen Zukunftsszenarien wie Kollaps und Brasilianisierung abzuwenden. Was genau muss getan werden?

Prof. Radermacher: Es geht darum, Zusammenhänge und sich daraus mehr oder weniger zwangsläufig ergebende Konsequenzen zu erkennen. Viele Entscheider kennen zwar die Fakten. Aber erst die Vernetzung dieser (häufig komplizierten) Fakten und (häufig verdeckten) Zusammenhänge erlaubt die Ableitung der richten Schlüsse und das Erkennen der erforderlichen Maßnahmen.

Firmen müssen sich den offensichtlich ständig wachsenden Herausforderungen stellen, aus eigenem Interesse und zur Sicherung der Arbeitsplätze der Mitarbeiter. Aus meiner Sicht reicht es aber nicht, wenn sich Unternehmer nur auf die Sicherung des Überlebens des eigenen Unternehmens fokussieren. Höchst problematische Zukunftsszenarien wie Kollaps des Gesamtsystems und Brasilianisierung sind ebenso zu vermeiden. Auch dazu muss ein Beitrag geleistet werden.

In einem doppelstrategischen Sinne macht es Sinn, einerseits auf Regeländerung hin zu argumentieren und andererseits im Rahmen der eigenen Möglichkeiten jetzt schon aktiv zu werden, bevor die Regeln für alle entsprechend verändert werden können.

Ziel ist eine globale Regulierung in einem ordoliberalen Sinne, orientiert an Prinzipien einer Ökosozialen Marktwirtschaft, die Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung und eine tragfähige Zukunftsgestaltung ist. Unter „ordoliberal“ verstehe ich eine marktwirtschaftliche Wirtschaftsordnung, in der dem Staat und der Politik die Aufgabe zugewiesen ist, einen adäquaten Ordnungsrahmen für Gesellschaft und Wirtschaft zu gewährleisten, dergestalt, dass als Ergebnis gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Geschehens Verhältnisse resultieren, die den Intentionen der großen Mehrzahl der Menschen entsprechen.

Hier kommt auf Ebene der Nationalstaaten die Demokratie als Letztinstanz für die Setzung von Rahmenbedingungen zum Tragen. Zu adressierende Themen betreffen die Ausgestaltung von Privateigentum, Vertragsfreiheit, freien Wettbewerb und Geldwertstabilität ebenso wie die Themen Sicherheit, Umweltschutz, sozialer Ausgleich und kulturelle Balance. Über die Setzung der Rahmenbedingungen hinausgehend kann und soll sich der Staat auf der Ebene einzelner Prozesse größtenteils heraushalten.

Würde das gelingen, und zwar auf nationaler wie – was viel schwieriger ist – auch auf globaler Ebene, würde sich die Wettbewerbssituation für rechtschaffende Unternehmen, und damit auch die Herausforderungen in Bezug auf Corporate Governance, deutlich erleichtern.

3. businessler Insbesondere für den Mittelstand sehen Sie durch die Globalisierung eher eine schwierige Perspektive. Sogar von „Ausplünderung“ ist die Rede. Welche Alternativen bieten sich dem Mittelstand unter den Bedingungen einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft Ihrer Prägung?

Prof. Radermacher: Unter Bedingungen einer weltweiten Ökosozialen Marktwirtschaft ist die Situation für den Mittelstand besonders günstig. Das ökosoziale Element bringt zunächst einmal insgesamt das größte, langfristig wirksame Wachstum hervor, indem es insbesondere den Ausgleich, Ausbildung für alle etc. und damit die Mitte fördert.

Umgekehrt ist ein starker Mittelstand eine der wichtigsten Voraussetzungen für eine wirklich lebenswerte Zukunft, in der alle Menschen ihre Chancen und Potentiale entwickeln können. Das war schon das Anliegen von Ludwig Ehrhard „Wohlstand für Alle“, und interessanterweise auch schon das Anliegen von Adam Smith, der ja von Haus aus Moralphilosoph war und der das Thema der „unsichtbaren Hand“ ins Zentrum gerückt hat, das Eigennutz und Gemeinwohlorientierung geeignet verbindet. Aber die unsichtbare Hand fällt nicht vom Himmel, sie ist die Folge einer adäquaten ökosozialen Regulierung.

4. businesslerGibt es für die mittelständische Wirtschaft Möglichkeiten, unabhängig von staatlichen Maßnahmen pro aktiv zu handeln, oder müssen staatliche Vorgaben abgewartet werden?

Prof. Radermacher: Sofort und an vielen Stellen kann die mittelständische Wirtschaft aktiv werden. Viele Unternehmen tun das und profitieren in ihren Unternehmen von einer vernünftigen Corporate Governance und von konsequenter Compliance.

Dabei verstehe ich unter Corporate Governance ein Handeln von Unternehmern und Unternehmen und ihren Mitarbeitern in Übereinstimmung mit der Gesamtheit aller internationalen und nationalen Werte und Grundsätze für eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung. Corporate Governance bezieht sich bis heute nicht auf ein international einheitliches Regelwerk. Sieht man von einigen wenigen international anerkannten, gemeinsamen Grundsätzen ab, handelt es sich um ein länderspezifisches Verständnis, teils auch um branchenspezifische Leitlinien für eine verantwortungsbewusste Unternehmensführung.

Unter Compliance wird die Gesamtheit der vorgesehenen Maßnahmen verstanden, mit der ein regelkonformes Verhalten eines Unternehmens, seiner Organisationsmitglieder und seiner Mitarbeiter im Hinblick auf alle gesetzlichen Ge- und Verbote und darüber hinaus auch auf alle erklärten Grundsätze des eigenen unternehmerischen Geschäftsgebarens durchgesetzt wird. Letzteres betrifft also auch Richtlinien und Wertvorstellungen, Moral und Ethik als leitende  Prinzipien auf gesellschaftlicher Eben wie auf Firmenebene.

Eine solche Positionierung sorgt für Ordnung im eigenen Unternehmen, bietet Orientierung für alle Beteiligten und induziert erfahrungsgemäß insbesondere ein großes Motivationspotential für Mitarbeiter und Führungskräfte. Es verhindert zugleich im Sinne eines Risikomanagements viele latente unternehmensimmanente Risiken – ein positiver und wünschenswerter Nebeneffekt entsprechender Complianceregelungen.

Teil 2 – Finanzkrise und damit zusammenhängende Themenstellungen:

5. businessler: Wie kann die von Ihnen als positives Zukunftsmodell vorgeschlagene Ökosoziale Marktwirtschaft angesichts der derzeitigen Krise der internationalen Finanzmärkte verwirklicht werden? Ist ihre Durchsetzung schwieriger geworden oder bietet die Krise auch Chancen?

Prof. Radermacher: Krisen bieten immer auch Chancen. Die Kunst besteht darin, sie zu erkennen und beherzt umzusetzen.

Auch die Finanzkrise liefert interessante Ansatzpunkte, vor allem, wenn man sie in Parallelität zu den aktuellen Verhandlungen zum Beispiel im Bereich des Klimas sieht. Mit Bretton Woods II, der notwendigen „Einhegung“ der Steuerparadiese und Kyoto II liegt etwa die Hälfte der Global Governance-Thematik auf dem Verhandlungstisch. Und zwar die handlungsrelevantere, da das Eigentum mächtiger Akteure betroffen ist. Entscheidend ist es im Moment, aus der gegebenen Situation die richtigen Schlüsse zu ziehen und die notwendigen Regelungen durchzusetzen. Von ökosozialer Seite arbeiten wir seit Jahren an diesen Fragen.

Es ist für viele Menschen auch deutlich geworden, dass ein ausschließlich an Ideen der freien Märkte und der Liberalisierung orientiertes Ökonomiemodell primär eine „Plünderungsstruktur“ zugunsten weniger und zu Lasten vieler ist.
Die klassische ordoliberale Position einer adäquaten Regulierung des Ökonomischen ist die überfällige Antwort.

Allerdings muss diese Regulierungsaufgabe in Zeiten der Globalisierung auf supranationaler Ebene geleistet werden, was extrem schwierig ist, da entsprechend durchsetzungsfähige globale Strukturen fehlen.

Ziel muss eine weltweite marktwirtschaftliche Ordnung sein, die überall und konsequent den Schutz des Sozialen wie der Umwelt durchsetzt und auch die dafür nötigen Querfinanzierungsmaßnahmen über Steuern, auch globale Steuern, aufbringt.

6. businessler: Welche Dynamiken stecken hinter der Globalisierung und sind diese überhaupt noch steuer- oder gar beherrschbar?

Prof. Radermacher: Die Globalisierung ist der absolute Megatrend, eng verbunden mit dem Siegeszug und dem gigantischen Potential der modernen Informations- und Kommunikationstechnik. Die unglaublichen Möglichkeiten im Weltfinanzsystem zur „Plünderung“ haben in diesen technischen Möglichkeiten ihren Ausgangspunkt.

Die unbändige Kraft von hunderten Millionen Indern und Chinesen, die sich aus der Armut arbeiten wollen, kombiniert mit der Chance für Hedgefondsmanager, in einem Jahr mehrere Millionen Dollar verdienen zu können, treibt den Prozess mächtig voran.

Und ein „Power-System“ von jetzt 20 Trusts und Public Wealth Funds, die Assets im Wert von 30.000 Milliarden Dollar managen, schiebt nach.

Allein schon Promillebeträge der letztgenannten Summe erlauben massive Einflüsse auf politische Prozesse. Sie verändern die Lebenssituation von Menschen, sie entscheiden über das Wohl und Wehe von Unternehmen. Werden diese Kräfte nicht „eingehegt“, sprengen sie gut gemeinte und in der Sache zukunftsweisende Initiativen. Tausende ökosoziale Projekte in Schwellen- und Transformationsländern werden in der Folge der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise zerrieben werden, mit brutalen Konsequenzen für die beteiligten Menschen und für viele Lebensträume.

7. businessler: Zur Stabilisierung des Finanzsystems stellen nationale Regierung derzeit Milliardenbeträge bereit. Wie beurteilen Sie das und was bedeutet das für den Global Marshall Plan?

Prof. Radermacher: Es ist richtig und notwendig, dass die Regierungen im Moment dreistellige, in der Summe vierstellige Milliardenbeträge zur Stabilisierung des Weltfinanzsystems einsetzen. Denn wenn dieses System kollabiert, kollabiert die Realökonomie mit allen Konsequenzen für uns alle.

In einer international konzertierten und abgestimmten Weise machen diese Maßnahmen Sinn. Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Dynamiken der Globalisierung besteht ansonsten die Gefahr, dass die großen Anstrengungen der einzelnen Nationen globalwirtschaftlich verpuffen.

Bei den hohen Mitteln, die eingesetzt werden, ist allerdings zu beachten, dass es sich weit überwiegend nicht um wirklich fließende Gelder, sondern um Bürgschaften handelt. Und dass diese Bürgschaften in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht realisiert werden. Es geht um Stabilisierung von Verhältnissen durch Übernahme von Bürgschaften.

Wahr ist jedoch auch, dass im Moment die Aufmerksamkeit der Politik vielleicht zu sehr auf die kurzfristig drängenden Fragen im Finanzsektor gerichtet ist und dadurch die längerfristigen Themen etwas in den Hintergrund geraten.

Wir meinen, dass die Themenbereiche unbedingt in Wechselwirkung zusammen betrachtet und gekoppelt behandelt werden müssen.

Teil 3 – Globalisierung und ihre Dynamiken:

8. businessler: Können nationale Anstrengungen den aktuellen Herausforderungen einer globalisierten Welt überhaupt noch gerecht werden? Was muss Ihrer Meinung nach unternommen werden?

Prof. Radermacher: Es ist richtig, nationale Anstrengungen reichen alleine schon lange nicht mehr aus. Wir brauchen europäische Initiativen und letztlich weltweite Lösungen für eine bessere Global Governance. All dies muss passieren in einer Weise, dass falsche Anreize im Sinne eines „Gefangenen-Dilemmas“ vermieden werden. Auf Bretton Woods II, der „Einhegung“ der Finanzparadiese und der Kyoto-II-Thematik habe ich bereits hingewiesen. Hier liegen die größten Chancen, dass gehandelt wird.

Auch Schritte hin zu einer fairen globalen Besteuerung aller Wertschöpfungsprozesse müssen dabei gelingen. Insbesondere müssen bestimmte Steuerparadiese in ihren vielfach negativen Rollen „eingehegt“ werden. Neben der Gefährdung der Besteuerungsbasis geht es insbesondere auch um Phänomene wie Intransparenz und die Ermöglichung von kriminellen Aktivitäten durch „Verschleiern“ relevanter Tatbestände, z. B. von Eigentumsverhältnissen. Deshalb fordert mittlerweile auch die Global Financial Stability Group der OECD Schritte in diese Richtung.

Ein Global Marshall Plan, wie ihn z. B. in der ein oder anderen Form der Ausgestaltung auch die Friedensnobelpreisträger Al Gore und Muhammad Yunus fordern bzw. als Idee unterstützen, ist dabei ein interessanter Zwischenschritt zu einer besseren weltweiten Global Governance. Dieser Zwischenschritt hat eine starke Orientierung an den Millenniumsentwicklungszielen der Vereinten Nationen, die im Jahr 2000 von 189 Staatschefs beim Millenniumgipfel der Vereinten Nationen in New York unterschrieben wurde und auf das Jahr 2015 zielen, aber leider noch weit von einer Umsetzung entfernt sind.

9. businessler: Müssen in einer Wirtschafts- und Finanzkrise zwangsläufig in zähem Ringen erkämpfte Standards – z.B. Umwelt- und Sozialstandards – relativiert werden?

Prof. Radermacher: Wenn das Haus brennt, muss man löschen. Wenn man sich über ein fehlreguliertes globales Wirtschaftssystem in Schwierigkeiten gebracht hat, muss man mit den Folgen leben. Sollte im Finanzbereich die Schuld dafür primär bei den USA und Großbritannien liegen, ändert auch das nichts an der Tatsache, dass wir mit den Folgen leben müssen und die Folgen verkraften müssen, so unangenehm das sein mag.

Wir schlittern vielleicht in eine Rezession, im schlimmsten Fall in eine Stagflation. Und wir müssen da durch, Schuld hin oder her.

Nebenbei bemerkt, sich verschlechternde ökonomische Rahmendaten führen sofort zu geringerem Ressourcenverbrauch, zu geringeren CO2-Emissionen und auch zu ressourcensparenderen Lebensstilen, einfach wegen fehlender Kaufkraft. Es ist nämlich gar nicht so einfach, Geld „umweltfreundlich auszugeben“. Nicht vorhandene Kaufkraft heißt Umweltschutz, ist allerdings sozial höchst problematisch.

Insofern sollten wir alle miteinander daran arbeiten, die Wirtschafts- und Finanzkrise möglichst schnell zu überwinden. Dabei bleibt die Notwendigkeit veränderter Rahmenbedingungen zum besseren Schutz vor Ausbeutung von Menschen und Umwelt offensichtlich. Und dieses Thema ist auch weiter zentral auf der Agenda. In der neuen G20-Konstellation mit einem neuen US-Präsidenten und den so offensichtlich negativen Erfahrungen mit dem Marktfundamentalismus, jetzt mit mehr Potential als jemals zu vor, auch wenn die Möglichkeit eines Scheiterns nach wie vor besteht.

10. businessler: Hat der globale Wettbewerb den Rang eines wirtschaftlichen Naturgesetzes erreicht, dem alles unterliegt, selbstverständlich und immer?

Prof. Radermacher: Natürlich gibt es auch andere Antriebskräfte. Sie liegen unter anderem in der menschlichen Kooperations- und Empathiefähigkeit und in der Suche nach Sinn. Hier setzen zum Beispiel die modernen Bewegungen für Sozialunternehmen an.

Der Wettbewerb hat dabei potentiell eine positive Funktion. Richtig verstandener Wettbewerb ist oft ein geeignetes Mittel zur Steigerung von Kooperation und Motivation. Aber es kommt auf die richtigen Regeln an. Wettbewerb findet immer unter Regeln statt.

Für das Ergebnis, dass erreicht wird, sind die Regeln wichtiger als der Wettbewerb. Die eigentlichen Gestaltungsfragen betreffen daher vor allem die Regulierung, nur begrenzt den Wettbewerb.

Insofern ist eine den neuen Herausforderungen angemessene Regelsetzung die zentrale Frage der neuen Global Governance: ökosozial statt marktradikal.

Herr Prof. Radermacher, vielen Dank für dieses Gespräch.