Prof. Jürgen Hubbert, eh. Vorstandsmitglied der DaimlerChrysler AG und in dieser Funktion verantwortlich für das Geschäftsfeld Mercedes Car Group.Prof. Jürgen Hubbert, eh. Vorstandsmitglied der DaimlerChrysler AG und in dieser Funktion verantwortlich für das Geschäftsfeld Mercedes Car Group, spricht mit dem businessler über die Finanzkrise und die Aktivitäten der diesbezüglich maßgeblichen Persönlichkeiten (Teil 1), erläutert die Auswirkungen der Krise auf die Automobilindustrie (Teil 2), definiert sein Verständnis von Wert und Werten sowohl in der Wirtschaft, als auch in der Familie (Teil 3) und beschreibt sein Engagement in Kunst und Kultur, insbesondere für das Forum Tiberius sowie das World Culture Forum (Teil 4).

Zur aktuellen Finanzkrise und den Aktivitäten der maßgeblich Beteiligten

1. BUSINESSLER: Ist das Schlimmste der Finanzkrise schon überstanden oder geht es erst richtig los?

Prof. Hubbert: Mit den Maßnahmen der letzten Tage wurde verhindert, dass es noch dramatischer wird, als es ist. Das bedeutet nicht, dass es von jetzt an ununterbrochen aufwärts geht. Eine Vielzahl von Aufräumarbeiten muss noch in verschiedenen Bereichen, insbesondere im Bereich der Finanzwirtschaft, geleistet werden. Die Tatsache, dass die Menschen das Gefühl gewonnen haben, sie verlieren nicht was sie gespart oder gegebenenfalls für das Alter zurückgelegt haben, führt hoffentlich zu einer insgesamt gelasseneren Stimmung.

2. BUSINESSLER: Sollte der Staat notfalls für die Fehler anderer in der Finanzkrise einstehen?

Prof. Hubbert: Das hängt immer davon ab, wie groß diese Fehler sind. Ich vergleiche das mit Dominosteinen. Wenn man erkennt, dass ein Stein alleine steht und nichts weiter passiert, wenn er umfällt, dann sollte man ihn umfallen lassen. Wenn aber erkennbar viele Steine dahinter stehen, die im Falle des Umfallens ebenfalls ins Wanken geraten, dann muss man etwas tun.
Hier war klar erkennbar, dass die Folgen dramatisch gewesen wären, hätte man eine solche Rettungsaktion nicht eingeleitet. Und so gesehen glaube ich, dass die Entscheidung richtig war. Allerdings erwarte ich, dass der Staat für das, was er jetzt tut, Gegenleistungen einfordert und diese auch wahrnimmt.

Nachfrage: Das heißt nicht nur Bürgschaften zu geben, die im Zweifel gezogen werden und der Staat steht mit leeren Händen da.

Prof. Hubbert: Es geht darum, Gegenleistungen zu fordern. Gegenleistungen, die der Staat bei positiver Entwicklung kapitalisieren kann, um aus dieser Situation schadlos herauszukommen. Einen ähnlichen Fall, wenn auch mit viel kleinerem Umfang, hat es in Schweden gegeben. Am Ende dieses Prozesses konnte der Staat die verbesserten Werte wieder kapitalisieren und mit einem leichten Gewinn aus seinem Engagement herauskommen. Effektive Verluste wie sie jetzt teilweise von politischen Kräften an die Wand gemalt werden, wären jedenfalls völlig inakzeptabel.

Nachfrage: Halten Sie vor diesem Hintergrund die Mittel, die von den USA zur Verfügung gestellt worden sind – das waren ja rund 700 Milliarden US-Dollar – für ausreichend. Wenn man nach Deutschland oder Europa schaut, über 600 gibt es in England, über 400 in Deutschland über 300 in Frankreich, stimmt das Verhältnis zu den amerikanischen Aktivitäten?

Prof. Hubbert: Dafür kenne ich die Fakten zu wenig. Ich weiß aber, dass in den USA noch etwas droht. Neben dem Hypothekengeschäft schwehlen noch erhebliche Verpflichtungen aus Kreditkarten. Keiner weiß so genau, was da noch für Probleme auf die amerikanische Wirtschaft zukommen.

Von daher möchte ich jetzt nicht Zahlen miteinander vergleichen. Ich glaube nur, dass die zum ersten Mal in dieser Form – und zwar quer über den ganzen Erdball – geschlossene Vorgehensweise mit dazu beigetragen hat, dass relative Ruhe einkehrt. Insofern geht es wohl weniger um die Zahlen als vielmehr darum, dass sich hier die wichtigen Entscheidungsträger untergehakt und gesagt haben, wir gehen einen vergleichbaren Weg.

3. BUSINESSLER: Welche dramatischen Auswirkungen haben diese Entwicklungen für Deutschland als Leistungsstandort?

Prof. Hubbert: Sicherlich haben wir keinen Boom zu erwarten. Ob es eine Rezession oder eine Stagnation wird, das möchte ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beurteilen. Dass die wirtschaftliche Entwicklung aber nicht so weitergeht, wie sie geplant war, dass scheint auf der Hand zu liegen.

Das Wirtschaftsgutachten, das in diesen Tagen veröffentlicht wird geht nur noch von 0,2% Wachstum in 2009 aus. Das bringt natürlich nicht unerhebliche Probleme mit sich. Zunächst könnten die Zahlen der Arbeitslosen wieder steigen. Reduzierte Steueraufkommen könnten dazu führen, dass auch die Haushaltsbilanzen wieder schlechter aussehen.

Klar ist auch, dass viele Menschen im Moment sehr zurückhaltend bei Geldausgaben sind. Zudem hat es die Politik versäumt, eine Steuerpolitik zu machen, die Klarheit schafft. Darunter leiden eine ganze Reihe von Industrien. Im Schwerpunkt die deutsche Autoindustrie, die ja schon in den letzten Jahren geplagt war.

Aus meiner Sicht werden wir ein oder zwei schwierige Jahre vor uns haben. Das wird nicht einfach sein, aber wenn man wie ich ein gewisses Alter erreicht hat, hat man mehrerer solcher Krisen erlebt und weiß, dass es nach einem Abwärts auch immer ein Aufwärts gibt.

4. BUSINESSLER: Welche Lehren lassen sich aus der Krise ziehen?

Prof. Hubbert: Eine wird augenscheinlich in der breiten Öffentlichkeit gezogen, die ich für problematisch halte, nämlich „mehr Staat“. Auch wenn das im gegenwärtigen Zeitpunkt im Bereich der Banken sicherlich das richtige Vorgehen ist, sollte man daraus nicht den Schluss ziehen, dass von jetzt an alles weitere der Staat bestimmen sollte. Der Staat hat sich als Unternehmer in der Vergangenheit nicht besonders bewährt. Von daher hoffe ich, dass man differenziert zwischen den einzelnen Bereichen.

Allerdings eine andere Lehre muss auch die sein, dass wir was Renditen angeht auf den Boden der Realität zurückkommen. Es muss zu kritischen Nachfragen kommen, wenn jemand 25% Rendite vorgibt oder aber wenn einer behauptet, aus einem Euro könne man locker flockig zehn oder fünfzehn machen. Realitätssinn und Normalität muss wieder einziehen. Aus meiner Sicht können auch 3 bis 5% Umsatzrendite solides Wirtschaften belegen. Entscheidend ist, dass die Kapitalkosten gedeckt sind.

5. BUSINESSLER: Was ist das Besondere im Vergleich zu anderen, früheren Krisen?

Prof. Hubbert: Die Krise hätte die gleichen Wirkungen haben können wie in den Jahren 1928 bis 1930. Mit all den sich daran anschließenden Konsequenzen von Massenarbeitslosigkeit bis hin zu politischen Wirren. Dass das nicht passiert, zeigt die bessere Vernetzung heute.

Globalisierung ist nicht ein zu beklagendes Problem, sondern hat durchaus positive Wirkungen. Unter anderem, dass sich in einer solchen Situation Notenbanken aus allen Kontinenten zusammenschließen und zu konzertierten Aktionen kommen. Durch rechtzeitiges politisches Einschreiten ist es gelungen, Panik zu vermeiden. Außer im Fall Northern Rock haben wir ja nirgendwo Schlangen vor den Bankschaltern gesehen. Das mal das Gold knapp geworden ist, ist ein anderes Thema.

6. BUSINESSLER: Wie beurteilen Sie vor diesem Hintergrund die Aktivitäten der Verantwortlichen in Politik sowie öffentlichem und privaten Finanzwesen?

Prof. Hubbert: In Deutschland – und nur dafür möchte ich sprechen – hat sich aus meiner Sicht die Politik richtig und vernünftig verhalten. Diese erste Generalsicherung der Kanzlerin hat einen zunächst erstaunt, um es mal vorsichtig zu sagen, weil da hinsichtlich der Realisierbarkeit eine ganze Reihe von Fragen aufgekommen sind. Im Laufe der Wochen hat sich das dann klarer dargestellt.

Ich schätze sehr, mit welcher Ruhe und Gelassenheit aber auch Verantwortung auch der Finanzminister agiert hat. Mich stört aber, dass jetzt, kaum da die Dinge beschlossen sind, schon die ersten Landespolitiker wieder anfangen, daraus Wahlkampf zu machen.

Von der Finanzwelt bin ich maßlos enttäuscht. Dass sich nur derjenige bisher öffentlich entschuldigt hat, der am wenigsten davon betroffen ist, nämlich Herr Haasis für die Sparkassen- und Giroorganisation ist bezeichnend. Ich denke es fehlt hier wirklich noch am Bewusstsein in der Finanzwelt, dass Wirtschaft und Gemeinwesen an den Rand einer Katastrophe geführt wurden. Die Finanzwelt muss dafür mit Sicherheit a.) zur Rechenschaft gezogen werden und b.) sich in jedem Fall angemessen weniger mit Worten, als mit Taten und einer Neuordnung ihrer Systeme entschuldigen.

Nachfrage: Wie kommt es, dass der Sparkassen- und Giroverband durch seinen Präsidenten Haasis noch im Februar diesen Jahres verlauten konnte, dass die öffentlich rechtlichen Banken kein Problem haben. Bekanntlich mussten dann in zwei Fällen Rettungspläne aufgebaut werden. Oder wie kann es sein, dass ein Vorstand der Hypo Real Estate innerhalb weniger Tage die Risiken, die er in seinen Büchern mit sich rumschleppt in derart unvorstellbarer Größenordnung korrigieren muss. Wäre das in einem Industrieunternehmen Ihrer Prägung möglich?

Prof. Hubbert: In der Größenordnung natürlich nicht. Die Tatsache, dass kurzfristige Entwicklungen erhebliche Auswirkungen auf Bilanzen oder Ergebnisse haben, muss man allerdings akzeptieren. Im Autogeschäft kann man das immer dann sehen, wenn man aufgrund der Preisentwicklungen gezwungen ist, Gebraucht- oder Leasingfahrzeuge relativ kurzfristig neu zu bewerten. Da kommen schon ganz ordentliche Beträge zusammen, die plötzlich in die Bilanz hineinwirken. Solche kurzfristigen Auswirkungen gibt es.

Wenn man aber heute mit Verantwortlichen aus Finanzkreisen spricht und sie sind ehrlich, hat keiner sich beispielsweise die Lehmann-Pleite vor wenigen Wochen vorstellen können. Dennoch ist es bezeichnend, dass selbst im Angesicht der Gefahr noch viel zu viele den Spread auszunutzen versucht haben. Wenn ich höre, dass man in der Hypo Real Estate noch wenige Tage vor dem Zusammenbruch in Ein-Tages-Terminen refinanziert hat, dann frage ich mich, was die Verantwortlichen da gedacht haben.

7. BUSINESSLER: Was bedeutet die Entwicklung im Finanzwesen aus Ihrer Sicht insbesondere für Konzerne und mittelständische, eigentümer-geführte Global-Player? Ich denke dabei nicht an das Handwerksunternehmen, sondern an die vielen Unternehmen in der Werkzeugbranche, im Anlagenbau oder der Automobilzulieferbranche, die ja oft noch eigentümergeführt sind.

Prof. Hubbert: Da muss man unterscheiden. Wenn die Konjunktur in allen wesentlichen Weltmärkten zurückgeht, dann geht auch das Auftragsvolumen zurück. Die Frage der Mittelbeschaffung wird da nicht einfacher. Und ich kann aus meinem persönlichen Umfeld vier Fälle nennen, in denen schriftlich zugesagte Kredite nicht ausgezahlt worden sind. Begründet wurde das mit fehlenden liquiden Mitteln oder geänderten Rahmenbedingungen. Es ging um Kleinbeträge bis hin zu mehreren Millionen.

Diejenigen, die nicht hinreichend in der Vergangenheit für Eigenkapital gesorgt haben, stehen natürlich vor erheblichen Schwierigkeiten. Deshalb kann man nur hoffen, dass die Maßnahmen der letzten Tage dazu führen, dass die Banken sich gegenseitig wieder Geld geben und das damit das Thema Kredite wieder ins Laufen kommt. Die gelegentlichen Aussagen, die Kreditvergabe sei durch das aktuelle Geschehen unbeeindruckt, kann ich aus dem eigenen Erleben jedenfalls nicht nachvollziehen.

Die Automobilindustrie und die Auswirkungen der Finanzkrise

8. BUSINESSLER: Finanzkrise und Konjunkturabschwung bremsen die Autohersteller aus. Opel, Ford, BMW und auch Mercedes fahren ihre Produktion z.T. drastisch zurück und reagieren damit auf die Folgen der Finanzkrise. Halten Sie derart massive Maßnahmen für angemessen?

Prof. Hubbert: Ja, ich halte Sie sogar für notwendig. Volle Höfe bei den Händlern und Fahrzeuge, die nur mit großen Abschlägen verkauft werden können, sind das schlimmste, was ein Hersteller haben kann. Insofern ist es sicher richtig, rechtzeitig den Nachschub zu drosseln und dafür zu sorgen, dass ein ordnungsgemäßes Geschäft am Markt stattfindet. Da bei einigen Firmen volle Arbeitszeitkonten vorhanden sind, halte ich diese Maßnahmen für vernünftig, auch weil es keine unmittelbaren Nachteile für die Mitarbeiter gibt.

Auf der anderen Seite hat die Finanzkrise eine sowieso schwierige Situation nur verschärft. Denn wir spüren in wesentlichen Märkten seit einiger Zeit eine Kaufzurückhaltung, das hat etwas mit der CO2-Gesetzgebung zu tun, teilweise auch mit den Unklarheiten der Steuergesetzgebung.

In Deutschland liegt das Durchschnittsalter der Flotte jetzt deutlich über acht Jahren, das höchste Durchschnittsalter das wir jemals hatten. Die Kunden waren schon verunsichert und jetzt kommt die Finanzkrise noch dazu. Insofern wird die Automobilindustrie nicht ohne Blessuren aus dieser Schwierigkeit herauskommen.

9. BUSINESSLER: Wird die Finanzkrise nicht nur hergenommen, um den lehrbuchreifen Krisen-Klassiker: Überproduktion, falsche Modellpalette und verschlafene Trends zu kaschieren? Was halten Sie von diesem Vorwurf?

Prof. Hubbert: Überhaupt nichts. Im Gegenteil, ich meine, es wird zu wenig darauf hingewiesen, dass die Verantwortlichen in der Automobilindustrie vor einer der schwierigsten Situationen der letzten 30 Jahre stehen. Ganz simpel deswegen, weil sie nicht wissen, wo es wirklich hingeht. Sie müssen Benzinmotoren, Dieselmotoren, Hybridantrieb, Elektroantrieb und die Brennstoffzelle parallel entwickeln.

Keines dieser Verfahren ist für die Zukunft als die einzige Lösung gesichert. Das heißt, Kapazitäten und Mittel müssen für die Forschung und Entwicklung in allen Bereichen bereitgestellt werden. Wir wissen, dass Fossile Kraftstoffe endlich sind. Insofern wird in absehbarer Zeit die Veränderung kommen. Ob es das Elektrofahrzeug ist, wird von der Entwicklung der Batteriesysteme abhängen. Es wird auch davon abhängen, wo wir in Zukunft unseren Strom herbekommen. Das mündet sehr schnell in eine politische Diskussion.

Es gibt einen solchen Strauß von Fragen und fast keine verlässlichen Antworten und schon gar keine soliden Rahmenbedingungen. Selbst die EU streitet, bis wann welche Richtlinien oder Grenzwerte erfüllt werden müssen. Daher tun sich die Verantwortlichen außerordentlich schwer, die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Wer andererseits immer noch glaubt, Deutschland sei ein Land in dem kleine, einfache Billigautos hergestellt werden könnten, der liegt total falsch. Mit den Produkten, die wir hier entwickeln können, nämlich Hochtechnologie in den entsprechenden Premiumsegmenten, müssen wir am Weltmarkt erfolgreich operieren. Bis vor kurzer Zeit ging das sehr gut. Insofern stellt sich die Frage, woher der Vorwurf des Verschlafens kommt, wenn man bis vor wenigen Wochen noch sehr erfolgreich agiert hat.

10. BUSINESSLER: Der Vertrieb der kaum noch marktfähigen, auf Halde liegenden Modelle über günstige Kreditkonditionen der Autobanken funktioniert nicht mehr. Haben Ihrer Meinung nach Kunden in Zeiten von Klimawandel und steigenden Benzin- und Dieselpreisen noch ein Interesse, sich für überalterte Antriebssysteme bis über beide Ohren zu verschulden?

Prof. Hubbert: Sie haben keine andere Wahl und das müssen wir ganz klar sehen. Das hohe Durchschnittsalter der Flotte von über acht Jahren, führt zu Autos auf der Straße, die deutlich unsicherer sind, deutlich mehr verbrauchen und damit auch mehr Co2 emittieren als mit heute verfügbarer Technik möglich wäre.

Auf der anderen Seite wird es in fünf Jahren einen Minianteil an Elektrofahrzeugen und in zehn Jahren einen Minianteil von Brennstoffzellen-Fahrzeugen geben. Wir sprechen also zumindest für die nächsten zehn Jahre von der Fortführung optimierter Verbrennungskraftmaschinen, sei es Benzin oder Diesel. Das heißt, warten kann man nicht, denn dann wäre die Flotte 20 Jahre alt und da würden selbst die besten Fahrzeuge zum Risiko.

Das heißt: Durch Kaufverzicht das Problem lösen zu wollen ist völlig falsch. Es ist im Gegenteil richtig, jetzt in ein neues Fahrzeug zu investieren. Das würde der Umwelt gut tun, das würde den Unternehmen gut tun und würde diese in die Lage versetzen, noch schneller neue Technologien zu entwickeln.

Genaugenommen tun die Kunden in der jetzigen Situation das Falsche, sie kaufen nicht anstatt die Unternehmen in der jetzt schwierigen Phase zu unterstützen. Von daher hoffe ich, dass über Kommunikation, sei es durch den VDA oder durch die Politik, die richtigen Impulse gegeben werden.

11. BUSINESSLER: Marktfähige Produkte mit marktgerechten Vertriebskonzepten verkaufen sich am leichtesten. Was muss sich insoweit in der Automobilindustrie ändern kurz, mittel und langfristig?

Prof. Hubbert: Das ganze Thema des Vertriebssystems muss zumindest überdacht werden. Wir wissen, dass Kunden heute hervorragend informiert sind. Sie kaufen – was Neuwagen angeht überwiegend nicht über das Internet, aber sie nutzen das Internet um sich zu informieren.

Insofern muss der Verkäufer ihnen nichts mehr erzählen oder aufschwatzen, sondern er muss sie beraten. Er muss sie beraten, welches für den jeweiligen Kunden das geeignete Produkt und die richtige Finanzierung ist. Ob es gut ist zu kaufen, zu leasen oder was sonst. Ebenso spielt die Frage der laufenden Betreuungsqualität eine ganz besondere Rolle.

Das heißt, letztlich ist der Verkäufer heute als Berater und Freund des Kunden gefragt, denn meine Erfahrung aus 40 Jahren Automobilindustrie heißt, nur das erste Auto verkauft der Verkäufer, alle weiteren verkauft der Service.

Wert und Werte

12. BUSINESSLER: Sie haben insbesondere zu Ihrer aktiven Zeit als Vorstandsmitglied der DaimlerChrysler AG und in dieser Funktion verantwortlich für das Geschäftsfeld Mercedes Car Group bei „Freund und Feind“ einen hervorragenden Ruf genossen. Wie schafft man so was?

Prof. Hubbert: In dem man verlässlich ist, verlässlich in dem was man tut und in dem was man sagt. Wir haben das am Beispiel der A-Klasse exemplarisch bewiesen. Da haben wir Fehler gemacht, sind für diese Fehler eingestanden und haben sie entsprechend korrigiert.

Danach waren die Image- und Sympathiewerte der Marke größer als vor der Krise. Das heißt, man kann mit Offenheit und Ehrlichkeit durchaus punkten. Auch Vorstandsmitglieder, das ist zumindest meine Überzeugung, müssen Menschen zum Anfassen sein. Sie müssen sein, wie Du und ich. Auch wenn sie eine andere Form von Verantwortung tragen, der sie sich stellen müssen und für die sie angemessen entlohnt werden.

Insofern ist das Gleichgewicht zwischen den vier Faktoren, nämlich dem Kunden der das Gehalt bezahlt, dem Mitarbeiter, der es erwirtschaftet, den Aktionären, die für das Geschäft das Geld bereit stellen und der Gesellschaft in der wir alle leben, wichtig. Dieses Gleichgewicht zu schaffen und nicht einen dieser Faktoren besonders herauszustellen ist Aufgabe des Managements.

13. BUSINESSLER: Was bedeuten Ihnen vor diesem Hintergrund die sogenannten althergebrachten Werte wie Respekt vor dem anderen, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Ehre?

Prof. Hubbert: Bei Ehre bin ich ein wenig vorsichtig, weil dieser Begriff gelegentlich auch missbraucht wird. Aber klar ist, dass in aller erster Linie „Persönlichkeit“ eine Rolle spielt. Wer schauspielert, der fällt immer wieder mal aus der Rolle und dann gibt es in der Regel ein böses Erwachen.

Wer er selbst bleibt in allem was er tut oder sagt und die Kriterien erfüllt, die er an sich selbst stellt, der hat gute Karten. Respekt, oder sagen wir mal Autorität resultieren nicht aus der Stellung, sondern aus der Persönlichkeit und sicherlich auch aus den Erfahrungen. Das ergibt sich ganz von alleine und insofern ist Autorität für mich etwas, das man sich durch Leistung und Vorleben erarbeiten muss und nicht durch Titel oder Position geschenkt bekommt.

14. BUSINESSLER: Wo werden diese Werte heutzutage vermittelt und gelebt?

Prof. Hubbert: Ich kann immer nur sagen, Werte werden im Elternhaus vermittelt. Ich verstehe die Kritik an den Schulen, sehe auch die Probleme, die dort teilweise herrschen und glaube, dass unser Schulsystem reformbedürftig ist. Aber Persönlichkeit lernt man zuhause. Wenn ich heute Bilder sehe, wie die jungen Cracks am Tisch rumlungern dann weiß ich, dass es das bei uns nicht gegeben hätte. Meine Eltern hätten sich da kritisch geäußert, hätten mir auch erklärt, warum das nicht geht.

Wissen wird sicher in der Schule vermittelt. Auch Gemeinschaftsleben kann in der Schule vermittelt werden. Wo es aber fehlt, ist ganz eindeutig in den Elternhäusern. Die Eltern nehmen sich nicht genug Zeit, um sich mit den jungen Menschen zu beschäftigen. Das ist meine Überzeugung. Das mag daran liegen, dass alle berufstätig sind, das mag daran liegen, dass man andere Interessen und mehr Ablenkung hat.

Tagesstättenbetreuung oder Jugendvereine, die staatlich oder privatwirtschaftlich finanziert werden, können das Elternhaus nicht ersetzen. Bildung und Herzensbildung wird zuhause von den Eltern vermittelt. Wo das fehlt, kommt es später eben zu entsprechenden Verfehlungen.

Nachfrage: Es heißt, dass die gebildeten Eltern meist Doppelverdiener sind und keine Kinder haben und die sogenannten bildungsferneren Schichten mehr Kinder haben. Bedeutet das, dass die Gesellschaftsschicht, die vermeintlich geeigneter wäre die Kinder so zu erziehen, dass diese den zukünftigen Anforderungen des Arbeitsmarktes eines Hochlohnlandes gerecht werden, wenige Kinder hervorbringt, während die angeblich bildungsfernen sich munter vermehren. Meinen Sie, dass das mittel- und langfristig noch ein Problem wird?

Prof. Hubbert: Für mich ist es immer wieder erstaunlich, dass behauptet wird, dass diejenigen, denen es finanziell gut geht, auch diejenigen sein sollen, die in der Vermittlung von Werten die Potenteren seien. Wenn man wie ich im Krieg geboren und in Verhältnissen groß geworden ist, wo man jeden Tag nicht so genau wusste, ob man am nächsten Tag was zu essen hatte, dann hat das im Grunde bei der Vermittlung von Werten nicht gestört. Meine Eltern hatten nur ein Bestreben, Voraussetzungen zu schaffen, dass es mir besser geht als ihnen. Das erleben wir damals wie heute ja auch in verschiedenen anderen Kulturen.

Ich weigere mich deshalb anzunehmen, dass bei uns tatsächlich eine Kultur herrschen soll, wonach Harzt IV-Empfänger nur in der Lage sind, ihre Kinder zu Hartz IV-Empfängern zu erziehen. Ich will das einfach nicht glauben, weil ich denke, dass jedes Elternpaar oder auch allein erziehende Eltern das Ziel haben müssten, alles zu tun, damit es den Kindern besser geht. Mein Vater ist früh gestorben, meine Mutter musste dann wieder in den Beruf zurück um mit mir zusammen dafür zu sorgen, dass ich studieren konnte. Aber das war ganz selbstverständlich. Da gab es keine Diskussion. Wenn es heute eine andere Denke gibt, scheint mir, dass die Versorgung durch den Staat nicht er- sondern verzieht und man Wege finden muss, um das zu korrigieren.

Engagement in Kunst und Kultur

15. BUSINESSLER: Wann haben Sie Ihre Liebe zur klassischen Musik und modernen Kunst entdeckt?

Prof. Hubbert: Seit vielen Jahren. Ich bin mit beidem ein bisschen groß geworden. Der erste Einrichtungsgegenstand, den meine Frau und ich nach der Heirat gekauft haben, war ein Bild. Insofern ist Kunst etwas, womit wir leben. Sie gehört für uns dazu und ich freue mich, das ich mich heute mehr mit diesen Dingen beschäftigen kann. Das tue ich mit meiner Unterstützung für die Semperoper in Dresden oder als Vorsitzender des Stuttgarter Gallerievereins.

Nachfrage: Was war Ihr schönstes Kunsterlebnis, dass Sie in den letzten 12 Monaten hatten?

Prof. Hubbert: Zwei Ereignisse: In der klassischen Musik war es eine Rigoletto-Aufführung in Dresden, in einer ungewöhnlichen und fantastischen Besetzung, insbesondere mit Frau Damrau. Auch wenn ich diese Oper schon zigmal gehört habe, lief mir da Gänsehaut über den Rücken.

Letzte Woche war ich geschäftlich in Wien, und habe mir bei der Gelegenheit die van Gogh-Ausstellung in der Albertina angeschaut. Wer van Gogh nicht nur als Maler sondern auch als Zeichner erlebt, der hat ein Schlüsselerlebnis. Ich stand vor den Werken und war sprachlos. So etwas genieße ich hin und wieder.

16. BUSINESSLER: Was verbirgt sich hinter dem „Forum Tiberius“ und was ist der konzeptionelle Ansatz des World Culture Forums?

Prof. Hubbert: Die Welt und insbesondere viele Manager und andere Teile unserer Gesellschaft beschäftigen sich fast ausschließlich mit Zahlen. Kultur im weitesten Sinne rückt in den Hintergrund. Ich denke das ist auch ein Teil des Problems, das wir in den letzten Wochen erlebt haben.

Forum Tiberius steht für eine Gruppe von Menschen in Dresden, die sich zum Ziel gesetzt haben, bestimmte kulturelle Themen zu diskutieren, sich regelmäßig zu treffen und mit Referenten zu diskutieren. Eine Aktivität, die auf Veranlassung von Hans-Joachim Frey entstanden ist, dem früheren Operndirektor der Semperoper und jetzigen Intendanten des Bremer Theaters.
In der Fortsetzung dieser Idee kam in Dresden die Frage auf, ob man nicht ein World Culture Forum gründen sollte. Hervorragende Leute wie Prof. Kurt Biedenkopf, Prof. Sinn und andere wurden gefragt und haben ihre Mitwirkung zugesagt.

Dass Kultur auf den Ranglisten relativ weit unten rangiert, erkennt man auch an der Schwierigkeit, für bestimmte Aktivitäten Mittel anzuwerben. Mit Sport kann man einiges erreichen, aber bei Kultur nicht. Das Forum will daher deutlich machen, dass eigentlich kein Teil der Gesellschaft ohne Kultur auskommt. Es soll auch deutlich machen, dass wir einen Fehler begehen, wenn wir nicht bei all dem was wir tun, auch kulturelle Verantwortung wahrnehmen.

Das Forum richtet sich an alle Teile Gesellschaft. Das hört sich groß an und hat jetzt erst mal klein angefangen. Wir wollen mal sehen, was sich daraus entwickelt.

Nachfrage: Mit Internet, Fernsehen und Radio könnte man die ganze Bandbreite der Gesellschaft erreichen. Wenn ich mir vorstelle, für wen Shakespeare früher seine Stücke geschrieben hat, dann waren das zumindest auch die heute sogenannten „bildungsfernen Schichten“. Wie sollte Fernsehen und Internet seinen Bildungsauftrag verstehen?

Prof. Hubbert: Die Quoten regieren. Das ist das Kernproblem. Fernsehen wird nach Quoten gemacht. Quoten heißt, Du nimmst den kleinsten gemeinsamen Nenner und bietest das an, wofür sich voraussichtlich die meisten Menschen interessieren. Das sind dann häufig schwache Inhalte, bei denen der Sendeplatz an sich nicht nachvollziehbar ist. Sender, die was anderes versuchen, wie Arte oder die Theaterkanäle, werden bei dieser quotengetriebenen Betrachtungsweise zunehmend vernachlässigt.

Ich glaube das Fernsehen ist gut beraten, wenn es seine Pflichten darin sieht, alle Teile der Gesellschaft anzusprechen und auch dann gehaltvolle Programme weiterzuführen, wenn die Quote mal nicht so hoch ist.

Die Medien Internet und Fernsehen empfinde ich als wichtig, aber trostlos. Ein Einzelner oder wenige Menschen sitzen vor dem Bildschirm. Man kommuniziert zwar mit der Welt, aber die Welt ist weit weg und es findet keine Interaktion in dem Sinne statt. Deshalb wünsche ich mir, dass mehr Menschen in reale Veranstaltungen gehen, die Stimmung dort erleben und sich mit anderen austauschen.

Sie kennen den Unterschied zwischen einem Telefonat und einem Gespräch. Die Inhalte können die gleichen sein. Es fehlt die Körpersprache, Sie wissen nicht wie derjenige reagiert. Ihnen fehlt ein komplettes Spektrum der Beurteilung dessen, was beim Gegenüber ankommt und was er wahrnimmt. Von daher halte ich das Internet für außerordentlich wichtig um schnell an Informationen zu kommen. Als ein Interaktionsinstrument ist es weniger geeignet, weil es eher  dazu beiträgt, dass die Nutzer vereinsamen.

17. BUSINESSLER: Wenn Sie auf die aktuelle Entwicklung schauen, was ist da Ihre größte Sehnsucht?

Prof. Hubbert: Mehr Mut! Mut bei allen Beteiligten. Mut bei den Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft die Wahrheit so wie sie ist zu akzeptieren und sie auch mit einfachen Worten den Menschen zu vermitteln. Mut auch die privaten Ansprüche mit denen der Gesellschaft in Einklang zu bringen. Das fängt bei Managern übrigens nicht erst bei den Gehältern an.

Und Mut auch bei jedem einzelnen, seinen Beitrag zu leisten, dass Veränderung einsetzt. Ich wünsche mir, dass wir eine mutige Gesellschaft werden, die erkennt, Herausforderungen sind dazu da, um bewältigt zu werden. Das ist keine Rückbesinnung auf 1945 aber zumindest der Versuch zu erinnern, wir haben es doch schon einmal geschafft, aus größeren Schwierigkeit herauszukommen. Damals hat man nicht geklagt, wie schwierig alles ist, sondern man hat angefasst und gestaltet.

Herr Prof. Hubbert, vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Interview führte RA Markus Nessler MBA.