Von: Dr. Wulf Preising, Generalsekretär des Deutschen Sportbunds a.D.

Wo in der Folge abstrakter politischer Großorganisationen gesellschaftliche und kulturelle Orientierungen ihre Sinngebung einbüßen, können sportliche Weltspiele wie die Fußball Weltmeisterschaft oder die Olympischen Spiele etwas leisten, was sonst nicht mehr möglich ist: Sie erhalten nationale Identität im großen Rahmen einer Weltgemeinschaft.

Die Fußball WM ist eines der faszinierendsten Spektakel, das Milliarden Menschen, rings um den Erdball, zusammenschließt. Es ist auch ein gewaltiges Marketinggeschäft, neben den olympischen Spielen das weltweit größte,  in einer Wirtschaftswelt, deren Produkte überall in der Welt in die nationalen und regionalen Märkte drängen. Die Frage, warum oder besser was am Fußball oder noch allgemeiner was am Leistungssport so Besonderes ist, dass er mit unvorstellbarem Aufwand zum Transport von Marken aufgebauscht wird, ist so alt wie die Antworten darauf vielfältig sind.

Einige Aspekt  verändern sich, gewinnen bei neuen Rahmenbedingungen andere Bedeutungen. In einer Welt, in der alles zum Event wird, kann und will keine Marke abseits stehen. Auch sie wollen ihren Unterhaltungswert zeigen und nicht nur einen lokal oder national beschränkten. Zwar gilt nach wie vor die Weisheit „all business is local“ –  aber wie schön, wenn dabei das kleinkarierte Lokale in einen weltumspannenden Zusammenhang gesetzt wird. Weltspiele, ob olympische oder die Fußball WM (und nichts anderes kommt an sie heran) spiegeln in public viewings auf Dorfplätzen, Zelten und historischen Arealen der großen Städte die schöne Botschaft, das Lokales und Globales sich nicht widersprechen müssen.

Sie vermitteln das Gefühl: indem du im Kleinen ein großes Weltfest feierst, erlebst du zugleich deine regionale und nationale Identität. Man kann auch sagen, es handelt sich um die Säkularisierung der Religion des Spiels, in der der Mensch eins mit dem Absoluten wird. Und wo in der Folge abstrakter politischer Großorganisationen gesellschaftliche und kulturelle Orientierungen ihre Sinngebung einbüßen, können solche Weltspiele etwas leisten, was sonst nicht mehr möglich ist: Sie erhalten nationale Identität im großen Rahmen einer Weltgemeinschaft.

Wir können also den Marketing-Glaubenssatz spezifischer formulieren. Das lokale Business bringt zwar die Rendite, aber für den Käufer ist es gut zu wissen, dass er mit seinem lokalen Kauf in eine Gemeinde internationaler, gleichgesinnter Käufer eingebunden ist.

 

Aber die Bühne, die Weltspiele den Marken für deren integrative Leistung des Nationalen und Internationalen bieten, ist nicht vor Gefahren geschützt. Spiele sind ja nicht nur der Laufsteg für Marken, sie sind auch das Illusionstheater für das Gute, Faire und die durch keine Manipulation verfälschte Leistungsbereitschaft des Menschen, verbunden mit dem Respekt für den Gegner.

Wo Betrug oder Verletzung der Regeln durch Sportler, Trainer, Ärzte oder Funktionäre Feuer an die Lunte des Guten legen, verliert diese Bühne gewissermaßen ihre religiöse Kraft, mit der sie zusätzlich die Marken gegenüber den inhumanen Gesetzen des Marktes adelt. Schließlich kaufe ich mit der Assoziation zum Sport nicht irgendeinen Artikel sondern alle Versprechungen, die dieser in der Verbindung mit dem Sport für sich behauptet. Wer sportbezogene Marken erwirbt, kauft zugleich mit der Unterhaltung Gesundheit, Leistung, Fairness und den Zugang zur internationalen, noch wichtiger zur Gegenwelt einer täglich uns einschränkenden Wirklichkeit.

 

Das sich daraus ergebende Problem ist leicht erkennbar. Der Sport ist selbst Teil einer hässlichen Realität und wo er seine Versprechungen nicht halten kann, verrät er nicht nur seine Ideale, schlimmer noch, er verliert seinen Marktwert.

Ein Marktuniversum, das sich darauf aufgebaut hat, versucht dann alles, um negative Auswirkungen auf die Sinngebung der Produkte (Spiele und Marken) zu minimieren. The games must go on or business as usual. Eigentlich doch ganz verständlich.

 

Und was folgt daraus für Marketingexperten? Eine nicht ganz neue aber lohnende (in wahrsten Sinne des Wortes) Aufgabe, mit den Mitteln der Kommunikation den Wert der Sportbühne auch gegen deren ideelles Zusammenbrechen aufrechtzuerhalten. Keine so schwere Aufgabe. Schließlich haben doch die großen Dopingfälle der Vergangenheit gezeigt, dass der Zuschauer nur zu gerne bereit ist, das als eine einmalige Regelverletzung zu verstehen. Die Sportwelt, die Fußball WM, sie alle sind für die Wirtschaft nicht verloren, solange der Zuschauer die Versprechungen des Sports zu seiner eigenen Orientierung braucht. Und weit und breit ist zu dieser möglichen Leistung des Sports kein Konkurrenzangebot zu sehen, das einen notwendigen Mehrwert zur reinen Nutzung vermitteln könnte. Es scheint, dass Wirtschaft und auch große Teile der Politik ihren eigenen Mehrwert nicht mehr in gesellschaftliche Glaubwürdigkeit umwandeln können, also bleibt doch nur als Aufgabe, das Sporttheater als Legitimationsideologie für das Wahre und Gute kommunikativ zu erhalten.

 

Aber es würde zu kurz greifen, das Zusammenwirken zwischen Wirtschaft, Sport und Medien-Kommunikation nur als Ausdruck gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen zu verstehen oder gar zu diffamieren. Die moralische Verurteilung dieses Dreiklanges, besonders dort, wo der Sport seine eigenen Werte verrät, verkennt häufig, dass moralische Ansprüche im Wesentlichen Ziele sind, die im konkreten Fall auch verfehlt, gegen die im schlimmsten Fall auch bewusst verstoßen wird, die aber dadurch noch nicht obsolet werden.

Zu verurteilen ist aber, wenn alle Beteiligten diese Gefährdungen zu verschweigen suchen – was auch deswegen geschehen kann, weil viele zuschauenden Sportbegeisterten sich ungern ihre Illusionen nehmen lassen wollen.

 

Sport lebt in der Wahrnehmung der meisten Zuschauer nicht von der strikten Einhaltung aller seiner Regeln und Werte, seine Faszination gewinnt er und damit auch seinen Marktwert von der Dramatik seiner permanenten Gefährdung und möglichen Wertverletzungen.

 

Eine schöne Aufgabe für Kommunikationsstrategen, diese Gefährdung nicht zu leugnen und mit den positiven Versprechungen eines humanen Leistungsstrebens zu verbinden. Übrigens, es macht einen Riesenspaß, Sport zu treiben und Leistungssportler haben eine große Freude an ihrem Tun.

Auch darauf kann Kommunikation aufbauen, aber in einer widerstreitenden Welt ist das wahrscheinlich kein Verkaufsargument.